Ich bleibe dabei: Lauterbach ist die Enttäuschung der Ampel.
(Ich meine, von einem FDP-Verkehrsminister hat man immerhin nie was erwartet!)
Lasst mich erklären.
Vorab: Warum maße ich eine Meinung an, ich bin doch gar kein Arzt? Das ist richtig, aber ich bin mit einer Hausärztin einer Kleinstadt verheiratet. Und ich arbeite Teilzeit, um das zu ermöglichen, kümmere mich danach um Kinder und Haus. Insofern bin auch ich finanziell abhängig von Lauterbachs Entscheidungen, und mittelbar betroffen von dem folgenden Quatsch.
Heute morgen also lese ich diesen Artikel auf Spon. Ich gehe ihn mal der Reihe nach durch:
- “Lauterbach zu Ärztestreik […] Viele Arztpraxen bleiben am Montag geschlossen – aus Protest gegen die Gesundheitspolitik von Minister Karl Lauterbach” Das ist falsch. Der 2. Oktober ist seit langem als Brückentag von der Kassenärztlichen Vereinigung (“KV”) als Brückentag vorgegeben (genau wie Ende Oktober vor dem Reformationstag übrigens). In manchen Praxen wird Urlaub vorab fürs Jahr verplant, das ist alles deutlich vor der aktuellen Diskussion passiert. Heute wird protestiert, richtig! Aber explizit an einem Tag, an dem die Praxen eh zu sind! Gestreikt wird nicht.
- “Am Brückentag bleiben viele Praxistüren verschlossen. Unmittelbar vor einem bundesweiten Ärztestreik an diesem Montag hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach Forderungen nach mehr Geld infrage gestellt.” Siehe 1. Jetzt muss man sagen, dass ja nicht Lauterbach diesen Artikel geschrieben hat, sondern der Spiegel. Warum also denkt der Spiegel, dass das ein Streik sei? Siehe 3:
- Lauterbach schrub auf Twitter: “Am Brückentag schließen viele Praxen, wie die Apotheker wollen auch sie mehr Geld.” Das ist Korrelation, nicht Kausalität, aber er formuliert das natürlich bewusst irreführend. Und sie wollen als Praxis mehr Geld, bspw. um die gestiegenen Tarifgehälter der MFAs zu bezahlen, sie wollen nicht als Arzt mehr Geld.
- Lauterbach schrub weiterhin: “Im Mittel (Median) verdienen sie aber nach Abzug aller Kosten um die 230.000 Euro pro Jahr” Diese Zahl ist absurd. Ich sage nicht mal, dass sie falsch ist, denn das weiß ich nicht. Vielleicht ist sie falsch, das wäre natürlich krass. Außerdem schreibt er “Praxen”, nicht “Ärzte” – angesichts von 3) nehme ich an, dass auch das eine bewusste Irreführung ist. Aber mal angenommen, die Zahl stimmt, und sie wäre der mittlere Gewinn (“nach Abzug aller Kosten”) eines Arztes – das wäre dann ein Problem, allerdings ein anderes. Denn in der Praxis meiner Frau liegt der Gewinn eines Arztes bei einem Bruchteil davon, einem niedrigeren zweistelligen Prozentanteil. Wenn der Median trotzdem so hoch ist, bedeutete das ein krasses Ungleichgewicht, und das müsste man angehen, nicht “DeN bEiTrAgSsAtZ”.
- Lauterbach fragt: “Soll der Beitragssatz für Arbeitnehmer steigen, damit das Honorar weiter steigt?” Auch das vorsätzliche Irreführung, denn das Honorar soll primär nicht steigen, es soll nicht sinken! Letzteres ist aber der Fall. Während Lohnkosten für die MFAs steigen; Miete, Strom, etc. natürlich ebenfalls (was beides unmittelbar auf “dEn GeWiNn” der Ärzte durchschlägt!), wurde der Vergütungsschlüssel seitens der KV so geändert, dass es weniger Geld für die Praxen = die Ärzte gibt.
- “Tausende Haus- und Fachärzte wollen an diesem Montag aus Protest gegen die Gesundheitspolitik ihre Praxen nicht öffnen. ” siehe oben
- “Der Verband […] spricht von einem […] Nettoeinkommen […] von 85.555 Euro”, immer noch höher als das eines Hausarztes, aber deutlich realistischer. Übrigens, Kinderärzte liegen noch darunter.
Als Arzt hat man 13 Jahre Schule, 7 Jahre Studium (Median Humanmedizin, eben gegoogelt), 5-6 Jahre Facharztausbildung hinter sich. Kann man sich ja ausrechnen, wer das noch auf sich nimmt, um danach damit rechnen zu müssen, dass das Einkommen gekürzt wird, während man gleichzeitig so dargestellt wird. Die Anzahl an niedergelassenen Ärzten wird also weiter sinken. Wer sich heute schon über Ärztemangel beklagt: Wendet euch an Lauterbach!
Und es kommt noch ein Aspekt dazu: Besagter Vergütungsschlüssel beinhaltet nämlich einen Aspekt, um den Verdienstausfall abzufedern (nicht auszugleichen): Mehr Patienten behandeln. Masse statt Klasse. Wer sich also darüber beschwert, dass Ärzte keine Zeit mehr für den Patienten hätten: Wendet euch an Lauterbach!
Mittelfristig wird es nicht anders gehen, als MFAs einzusparen oder nach der Ausbildung nicht zu übernehmen. Wer also heute schon Probleme hat, telefonisch beim Arzt durchzukommen: Wendet euch an Lauterbach!
Denn alternativ geht es nur, wenn die Ärzte monatsweise auf Gehalt verzichten. Oder eben wirklich “zu machen”, statt einen offiziellen Brückentag wahrzunehmen. Was ja ebenfalls heute schon passiert, wenn zum Ende des Quartals das per Dekret von der KV zugestandene Geld aufgebraucht ist, wird halt für eine Woche dichtgemacht, statt für lau weiterzubehandeln. So etwas wird zunehmen.
Deshalb: So wie Volker “VW” Wissing sich eher als Auto- denn als Verkehrsminister geriert, scheint mir Lauterbach eher der Krankenkassen- als der Gesundheitsminister zu sein. Was mich nach seinem Auftreten während Corona doch immer noch enttäuscht.